Florians Zeichnungen haben einen Beginn und ein Ende. Einfach darüberschauen geht nicht. Man muss sich dazu entschließen, mit dem Sehen anzufangen, muss die Zeichnungen tätig mit der eigene Vorstellungskraft nachvollziehen, um ihnen schließlich zufriedengestellt den Rücken zuzuwenden. Würde man sie statisch anschauen, dann wären sie fragmentarische Notizen, Farbflecken und Chiffren des Sichtbaren. Sie wären wie die Reste eines Bühnenbildes. Ein quasi archäologischer Blick könnte nur Vermutungen über einen schon vergangenen Inhalt anstellen. Dies wäre dann kleiner Beitrag Klaus Florians zu einer Randprovinz der Malerei: er ist aber lieber ein Zeichner in der Gegenwart. Klaus Florian schaut zu und schaut hin. Er lässt sich Zeit. Er beobachtet Dinge und Räume, Plätze und Gebäude, Vorgänge und Situationen. Sein Auge und seine Vorstellungskraft bewegen sich in diesen. Was er sieht ruft eine kleine oder eine große Geste hervor: in seiner Hand oder in seinem Arm oder mit seinem ganzen Körper. Diese Bewegungen schreiben sich in seiner Vorstellungskraft ein, werden erinnerbare Form und wahrscheinlich vergisst er oft die dazugehörigen visuellen Bilder.
Was er sieht, das nimmt er sich zu Herzen und in seinen Körper. Später zeichnet er vielleicht einen Kreis oder ein Oval und erinnert sich: War das nicht eine antike Kuppel oder die Blätterkrone eines Baums im Park der Villa Borghese oder einfach der Abdruck eines Weinglases auf einem Tischtuch? Ein paar parallele Linien: Baumstämme oder Wandprofile oder einfach ein Arm? Kreise und Linien sind eine Wirklichkeit auf dem Papier, ebenso die Farbschlieren und Flecken darauf und auch das Papier selber ist wirklich, mit Händen zu fühlen. Alles andere in Klaus Florians Bildern sind Vorstellungen und Erinnerungen. Die wollen nicht in der menschlichen Vergesslichkeit verschwinden und halten sich deshalb an den gezeichneten Formen fest. Klaus Florian zeichnet nichts ab, sondern versucht festzuhalten, was seine zeichnende Hand aus den Lagern und Ablagerungen der fast vergessenen Bilder herausfischen kann. Alles Archivierte ist tot, bis zu dem Moment, in dem ein schauendes Auge, eine zeichnende Hand und sensible Finger, welche ein Material befühlen, dieses wieder in die Gegenwart heben, einfach indem sie von ihrer Lebendigkeit abgeben und die gespeicherte Erfahrung aktualisieren. Also erfindet Klaus Florian die Wirklichkeit aus seiner Erinnerung und gestaltet sie in sichtbaren Flächen. Zeichnung unterscheidet die Dinge. Nicht der Zusammenklang, die differenzierende Aufteilung aller ihrer Elemente ist ihre Stärke. Striche, Schraffuren und Texturen und letztlich auch die Farbe werden zur Darstellung von Unterschieden benutzt.
Klaus Florian ist kein Maler, er ist ein Zeichner der die grafischen Mittel bis an die Grenze zur Malerei hin benutzt. Ein Maler zeichnet sein Gemälde häufig vor. Jeder Pinselstrich der Malerei deckt die Zeichnung zu, nimmt ihr ihre aufteilende Kraft und führt sie in einen Zusammenklang des malerischen Materials über. Malerei besteht aus Inseln der Zusammengehörigkeit. Davor weicht Klaus Florians Kunst zurück. Er lädt seine Zeichnungen zwar mit allen Zutaten der Malerei auf, lässt sie hier und da sogar das Schauspiel der Malerei spielen. Da glaubt man manchmal in eine Arena des Malerischen geraten zu sein. Aber zuletzt zeigt jedes bildnerische Element, wie sehr es für sich alleine und für die Repräsentanz einer diskreten Vorstellung steht. Sicher, alle diese Teile ziehen an einem Strang, aber jedes für sich und immer so, dass es von den anderen gut unterschieden werden kann. Das sieht manchmal wie Malerei aus und ist dennoch explizite Zeichnung.
Klaus Florians künstlerische Kraft besteht in der flächigen Organisation von aufgezeichneten Formen und Texturen. Jede von strukturellem Eigensinn geprägt und sich von der anderen unterscheiden wollend. Sorgfältig lässt er jedem Zeichen seine Eigenart und Freiheit und ordnet diese so an, dass sie, nicht von sich aus, sondern durch seinen Willen, zu einer fragilen und transitorischen Einheit zusammenfinden.
Diese Einheit muss vom Betrachter mit seinem Blick rekonstruiert werden. Solche Zeichnungen sind nie in statischem Sinne fertig. Sie müssen durch einfühlsame Betrachtung nachvollzogen und im Nacheinander der Blicke zu ihrer Gestalt zusammengesetzt werden. Indem der Blick eine Fläche und die Spuren ihrer Fertigung betrachtet und in der Erinnerung mit dem Verlauf einer Linie kombiniert, um beiden dann die Textur einer ausgewischten Farbe hinzuzufügen, entsteht das Erlebnis einer Zeichnung in Aktion.
Klaus Florians Zeichenmaterialien müssen immer zweifach beurteilt werden. Sie haben immer Eigenschaften, die einerseits mit einer visuelle und andererseits mit einer materialbezogenen Ästhetik zu begreifen sind. Farbe kann der Stoff sein mit dem etwas wiedergegeben wird: türkisblau zum Beispiel kann das Blau eines Flusses abbilden. Das Türkis ist für Klaus Florian aber auch das Wasser und der Himmel und auch die Farbe der Kacheln die er in muslimischen Ländern gesehen hat und damit ein Material, welches Ferne und Fremdartigkeit verspricht. Also fügen sich in seinen Zeichnungen Zeichenmaterialien zu Materialtexten und Farben zu Abbildern zusammen.
Die Faktur des aufgetragenen Materials führt die beiden Seiten zusammen. Deshalb sind Klaus Florians Zeichnungen so vielfältig in der Form des Materialauftrags. Dünnflüssig zerriebene Farbe, Bleistiftlinien, Kreidespuren, Fettflecken, pastose Ölstifte, Auswischungen und Ausreibungen, Spachteltexturen, Übermalungen, Reuestriche, Collageelemente, diverse Zeichengründe… All dies macht uns anschaulich, wie sehr Klaus Florians Kunst auf dem Bild der Vergänglichkeit gründet. Was habe ich wahrgenommen von dem, was schon nun wieder vorbei ist, das ist die beständige Frage. Und welche Vorstellungen mache ich mir von all dem, wenn es denn wieder in meiner Imagination erscheint? Und zuletzt: wie und mit welchen Mitteln greife ich alle diese Bilder und gebe sie in die beständige Gegenwart meiner Betrachter?
Man reibt sich die Augen und wundert sich.
Prof. Jörg Eberhard
Folkwang Universität der Künste