Wer das künstlerische Werk von Klaus Florian…

 

… über einen längeren Zeitraum beobachtet, stellt fest, dass er mit sehr präziser Konzeption, die sich stets aus den Faktoren Materialität, Zeichnung und Reflektion speist, in all den Jahren ein Werk entwickelt hat, das sich stets treu geblieben ist, das jedoch auch immer wieder in Blöcken, Reihungen und Serien neue Ansätze und innovative Strukturen über ganze Zeiträume durchspielt. Es gibt in Klaus Florians Werk selten das so genannte Einzelstück. Seine künstlerischen Arbeiten entstehen meist als Reihung und Verdichtung eines Impulses, den er empfängt und gleichzeitig weitergibt. Im Kontext dieser Werkkonzentrationen entstanden sowohl installative, wie serielle Arbeiten oder auch Werkserien, die sich einer tagebuchartigen Auseinandersetzung mit Phasen und Zeiten künstlerischen Arbeitens verpflichtet sehen und so immer wieder von neuem den Aspekt künstlerischer Konzentration wirksam werden lassen.

Diese Konzentration in Thema und Materialität ist es, die sich in allen Bildwerken, Installationen und Reihungen festmachen lässt. Der Künstler versteht sich hier als einer, der komplettieren und vervollständigen will, der auf der fortwährenden Suche nach dem Ausdruck im Medium der Gestaltung ist. Ein solcher Anspruch auf qualitative Quantität indes kann nicht in einem einzelnen Werk münden sondern entwickelt sich über eine Reihe von wichtigen innerlichen Auseinandersetzungen über das Medium der Zeichnung, der Malerei und der künstlerischen Gestaltung und findet so in unterschiedlichen Mengen von Arbeiten seinen Niederschlag.

So entstand zwischen 2003 und 2006 eine Reihe von Arbeiten mit dem Titel „Block-P.“, in der Klaus Florian in der ihm ganz eigenen Art zeichnerische „Skizzen“ mit Zeichen, Formen und unterschiedlichen Gewichtungen zusammenstellt. Als Block gedacht und als Block entstanden verdichten sich hier bildkünstlerische Setzungen, die in fast frecher Weise mit neuen und intensiven Farbigkeiten im Werk von Klaus Florian besetzt sind. Die Frische und Unmittelbarkeit der Farbigkeiten hat sich in den letzten Jahren wieder neu im Werk manifestiert, nachdem diese gewisse Qualität von Farbe in den ganz frühen Zeichnungen Klaus Florians wiederzufinden war und sich über Jahre zugunsten einer sehr stark auf natürliche Stofflichkeit basierenden Farbklänge reduzierten. In Block-P. entsteht ein Stakkato von bildkünstlerischen Setzungen, die jede für sich gleichsam eine eigene Geschichte zu erzählen meinen.

Im Werk von Florian spielen neben den klassischen Fragestellungen von Materialität und Form auch gleichbedeutend die Faktoren von Impuls und Thema eine Rolle. Die Auseinandersetzung mit und die Reaktion auf ist oftmals der tragende Gehalt von Serien, die über einen längeren Zeitraum entstehen. So entwickelte Klaus Florian 2006 und 2007 eine Reihe von 240 Zeichnungen im Format 21 x 29,7 cm mit dem Titel „FundUS“. Der Künstler kommentiert damit die dreizehnmonatige Abwesenheit seiner Tochter Merle, die sich für diesen Zeitraum bei einem Auslandsaufenthalt in den USA befand. Subjektiv-biografisches wird in diesem Werk verwoben mit objektiven Ereignissen, die in jenen Monaten auf unterschiedlichen Ebenen die Ausgangsüberlegungen der Kunstproduktion Klaus Florians beeinflusst haben. Ereignisse, Fernsehübertragungen, Telefonate, Assoziationen und vieles andere mehr wurde zu einem Reservoir von visuellen und mentalen Quellen, aus denen Klaus Florian Bilder, Zeichen und Symbole schöpfte. Der Künstler entwickelt aus diesem Pool wie ein Rezeptor Ereignisse, Bilder und gefühlte Situationen und verdichtet diese in Zeichnungen und andere malerische Komponenten. Vielfältige aber auch vertraute Elemente zeichnerischer Symbolik, die Florian in seinem Werk in der Tat wie in einem „Fundus“ vorhält, werden von ihm in halbtransparenten Zeichnungen und Bildsetzungen geschichtet, übereinander gelegt und so in eine neue räumliche und inhaltliche Konzeption vermittelt.

Die Zeichnungen schildern unterschiedliche Raum- und Erzählstrukturen. Immer wieder finden sich Versatzstücke einer Architekturwelt oder einer Symbolsprache, die ganz deutlich auf die Welt der USA und den damit verbundenen Assoziationen Bezug nehmen. In bekannter Gestaltung arbeitet Florian damit zeichnerisch, mit kraftvollem Strich kombiniert, mit den Lasuren von Schellack, Leinöl und naturnah strukturierten Oberflächen, die die Papierflächen gleichsam transparent machen und so ein Bild hinter den Bildern schaffen, auch wenn Florian in diesen Arbeiten nicht mit dem Prinzip der direkten Überlagerung arbeitet.

Viel Anekdotisches wird deutlich, wenngleich der Betrachter in der Serie „FundUS“ über die einzelnen Elemente keine genaue Information erhält. Imaginieren lassen sich jedoch die vielen Telefonate und den sicher wichtigen Email-Verkehr, der den Austausch zwischen der Tochter und den Eltern über einen langen Zeitraum hin aufrecht erhalten hat und so den ständigen Gedanken- und Ideenfluss von Amerika nach Deutschland zum Ausdruck bringt. Besonders deutlich wird dies – wenn eine solch persönliche Einlassung an dieser Stelle wirksam erscheint – in der Arbeit, die deutlich zwei Telefonmasten präsentiert, deren Verbindung über den langen Zeitraum scheinbar unkonkret wird und in der Distanz die Dringlichkeit der Verbindung doppelt thematisiert.

Von 2006 bis 2011 entstand die Serie „Habitate“, in dem Klaus Florian in größerem Format, in Mischtechnik auf Holz oder auf Papier, eine innere Geografie beschreibt, in denen er dem Raum innerer Wahrnehmung immer näher rückt. Hier wird die Farbigkeit auch in besonderer Art und Weise gesteigert. Aus den vorhergegangenen Serien entwickelt, bricht sich hier eine Farbigkeit Bahn, die den Naturtönen erwachsen, dennoch stärkere Akzente formuliert. Hier wird der Dialog zwischen künstlerischer Arbeit und natürlichem Zusammenhang wieder ein wichtiger Ansatzpunkt seiner Arbeit, wobei er hier in seiner spezifischen Arbeitstechnik mit Leinöl, Eisenchlorid und dem ständigen Bearbeiten von Farbflächen durch Schleifung und Spachtelung in dünnen Schichten die Verdichtung und gleichzeitige Auflösung des Bildraumes voran treibt. Die Formen und Zeichen scheinen nicht auf dem Malgrund zu liegen, sondern bewegen sich in einem Raum, der determiniert ist und zugleich offen und dessen Tiefenräumlichkeit scheinbar nicht messbar ist. In der Formatgröße dieser Arbeiten gewinnt die Zeichnung selbst einen fast architektonischen Kontext und bindet sich so an die früher entstandenen Arbeiten auf Leinwand. Die Räumlichkeit, die diesen Arbeiten innewohnt, folgt in diesem Kontext den Koordinaten Florianscher Arbeit und verfolgt auch in der weitergeführten Formensprache sein spezifisches künstlerisches Konzept.

Eine weitere Serie, die im Jahr 2010 begonnen hat, trägt den Titel „Deep water“. Hier finden sich Zeichnungen und malerische Positionen auf einer besonderen Gitterfolie, die in ihrer Transparenz und leicht blau-grünen Farbigkeit den Charakter von Glas oder Wasser andeutet. Die zeichnerischen und malerischen Setzungen auf dieser transparenten Gitterfolie befinden sich denn auch als Materialsetzungen nicht nur auf der Oberfläche, sondern sind auch wie bei einem Hinterglasbild in manchen Arbeiten auf die Rückseite des Trägermaterials gesetzt. Klaus Florian erreicht dadurch eine ungeheure Vielschichtigkeit und mehr Lesbarkeit für seine malerischen und zeichnerischen Setzungen, die so gleichsam auf der Folie und um die Folie herum ihren künstlerischen Raum finden und so eine Verortung der Zeichen, Formen und Strukturen im Raume selbst verunklärt bzw. weit geöffnet werden. Die Betitelungen, die zum einen auf die Ölbohrkatastrophe im Pazifischen Ozean verweisen, thematisieren, wie immer in den Arbeiten von Klaus Florian, darüber hinaus auch eine der Realität benachbarte Traumwelt, in der die Grenzen aufgehoben sind und der als „Pool“ unendliche Assoziationen, Bezüglichkeiten und visionären Elementen innewohnen.

Ebenfalls im Jahr 2010 begann Klaus Florian seine Serie mit dem Titel „AROMA“, die zum ersten Mal in seiner künstlerischen Konzeption mit der Reflektion auf einen bestimmten Ort zu verbinden ist. AROMA konzentriert sich tatsächlich auf mehrere Aufenthalte in Rom, die der Künstler im Nachgang visuell in großformatigen Bildern bearbeitet, die sich anekdotisch jedoch nicht mehr auf die ursprünglichen Begebenheiten und örtlichen Eindrücke zurück verfolgen lassen. Wie immer im Werk von Klaus Florian ist die künstlerische Arbeit niemals Illustration sondern Reflektion eines Ereignisses, einer Erfahrung und eines erlebten Zeitabschnittes. So wird denn die Tagebuchreise durch Rom auch kein touristisches Erinnerungsalbum, sondern an den unterschiedlichsten Orten und mit den unterschiedlichsten Versatzstücken ausgestattet, entwickeln sich die Bilder als eigenständige und vom ursprünglichen Anlass her unabhängige gestalterische Maßnahmen. Einzig die Farbigkeit, die durchaus mit der Farbigkeit des Stadtwappens von Rom, nämlich rot und gelb, korreliert, mag eine gewisse Rückbeziehung auf den Ort des Geschehens selbst sein. Die reflektierten einzelnen Bildwerke jedoch sind ganz der Konzeption der Florianschen Arbeitsweise entlehnt. Er bietet Blicke in die inneren Räume, die sich immer dann auftun, wenn sich der Künstler mit anderen Menschen, Gegebenheiten oder anderen Örtlichkeiten auseinandersetzt. Diese inneren Räume, die Klaus Florian in seinen Arbeiten in unterschiedlicher Herangehensweise, aber mit immer gleichen und ähnlichen künstlerischen Strategien visualisiert, wurden sehr treffend von Ingo Bartsch charakterisiert:

„Diese Schau nach innen ist Teil eines Handlungsmusters, das Reaktionsmechanismen auf die zunehmend automatisierte Außenwelt zu entwickeln sucht, dieser also nicht ausweicht, sondern ihr künstlerisch begegnet. Intuition als schwer fassbare Aktionskategorie beschreibt unverändert wirksam und modern diese Beziehung zwischen innen und außen“ (Ingo Bartsch, Klaus Florians bildnerische Recherchen über sein eigenes Ich, in: White out – Klaus Florian. 100-teiliger Werkblock, Katalog zur Ausstellung im Suermont-Ludwig-Museum Aachen, 17. März bis 11. Juli 2001, Aachen 2001).

Die Fragestellung über Eindeutigkeit und Zuortbarkeit wird zur Grundfrage bei den Arbeiten von Klaus Florian. Die Offenheit bedingt sich dabei aus dem dialektischen Prozess zwischen Bild und Betrachter und bleibt im Akt der Anschauung stets aktuell. Fast alle technischen Mittel, die Klaus Florian in seinen Arbeiten verwendet, schaffen Raum ohne Illusion. Die Transparenzen des Papiers, die Schichtungen der Malstruktur und die Verwendung von zusätzlichen Elementen wie der Gitterfolie, stehen sowohl im Widerspruch zueinander, wie sie sich auch gegenseitig verdecken oder enthüllen. In dieser Art von Überlagerung und Überblendung, in der die verschiedenen Ebenen nicht mehr zu unterscheiden sind, sondern in eins und vor allen Dingen in der Betrachtung verschmelzen, spiegelt sich die Reflektion und die Auseinandersetzung mit den inneren wie den äußeren Welten einer künstlerischen Persönlichkeit. In diesem Sinne ist die Tiefe der Schichtung in Florians Werken ein Analog für die Subjektivität und Intensität der Wahrnehmung.

 

Dr. Gabriele Uelsberg
Direktorin
LVR-Landesmuseum Bonn