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„Im Unbewussten gründeln wie ein Wels am Boden des Flusses”
Klaus Florians bildnerische Recherchen über sein eigenes Ich

 

Kritische Befragungen spiegeln häufig den Beginn einer sich wie immer auch, zunächst wohl unbestimmt auswirkenden Um-Bruch-Situation. Wenn Klaus Florian, von seiner neuen Mülheimer Warte aus, ein „Whiteout-Projekt” startet, dann ist dies mit einiger Wahrscheinlichkeit auch einer solchen Veränderung zuzuschreiben, deren einschneidende Schwere zu erkunden sein wird. Ein Millenniums-Phänomen? In der Regel lässt sich Kunst in ihrem Produktionsrhythmus wohl von allen anderen Faktoren als einem Jahrtausendwechsel beeindrucken. Dennoch mag sich hier vielleicht unbewusst ein wenn nicht Zwangs-, so doch Bedeutungs-Mechanismus ausgewirkt haben, dessen Einfluss nicht unterschätzt werden sollte.

Es ist im Werk dieses Künstlers auffällig, dass er uns häufig mit einer Formel als Projekt- oder Serien-Titel überrascht, die uns gemeinhin nichts über den möglichen Inhalt verrät, dagegen aber rein von der semantischen Struktur her unsere Neugier erwachen lässt, ja von nicht gelinder Faszination des Nicht-erklärbaren zeugt.
Dies war 1996 der Fall im „Albedo”-Zyklus und ist jetzt gleichermaßen in dem des mit „Whiteout” gekennzeichneten zu entdecken. Nach der lexikalischen Auflösung dieser enigmatischen Beschilderung wird sehr schnell deutlich, was beides im Innersten zusammenhält: Es geht um Lichtphänomene, genauer: um bestimmte Licht-Reflexionen, dort von nicht selbst strahlenden Körpern, hier von antarktischen Schneefeldern, die im Zusammenwirken mit Wolkenformationen jegliche gewohnte Differenzierungsmöglichkeit von Gegenständen einebnen, besser: zum Verschwinden bringen.
Verbunden mit diesen Rückgriffen auf physikalische Phänomene ist eine spezifische malerische Technik, die Florian auch in dem „Albedo”-Block angewandt hat und der er weiterexperimentierend treu geblieben ist. Aus eigenem Augenschein anlässlich der Studio-Ausstellung im Museum am Ostwall Dortmund 1997 konnte ich damals zu folgender knappen Beschreibung gelangen: ’Albedo’ meint konkret jene 1996 entstandene Arbeit, die eine Serie von 14 Blöcken in einer sinuskurvenförmigen Linie auf einem höherem geschlossenen Sockel anordnet, sodass eine dreidimensionale, nacheinander lesbare Abfolge von „Vier Metern Bild” entsteht. Gleichwohl bleibt der zweidimensional-flächige Charakter erhalten, der dieser „durchscheinenden” Malerei eigen ist. Florian hat dafür seine eigene Mischtechnik entwickelt. Das Papier als Malgrund nimmt je nach eigener Beschaffenheit das Eisenchlorid und das Leinöl stärker auf oder weist es eher zurück, verweigert das sättigende Sichvollsaugen. Mit solcherlei fast ein wenig alchimistisch anmutenden Substanzen gelingen dem Künstler jene hoch-differenzierten Nuancen, die das Bildmotiv aquarellähnlich sich zerfasern und zerlaufen lassen oder es andererseits randscharf eingrenzen. Gleichzeitig erfüllen sie innerhalb des künstlerischen Gesamtkonzeptes eine sehr wichtige Funktion: Sie fügen die experimentelle Komponente des Prozessualen ein, des nicht a priori vollständig Beherrschbaren und Steuerbaren, auch: des Zufälligen. Leinöl und Eisenchlorid gewinnen erst allmählich unter Lichteinfluss jene Dichte oder Durchlässigkeit, mit der Klaus Florian in seinen Bildern operiert.”
Auch dort also schon der schöpferische Umgang mit dem für uns immer noch nicht recht erklärbaren Phänomen des selbst nicht sichtbaren, sondern nur reflektiert empfangbaren Lichtes, das, noch unbegreiflicher, dual irrlichternd als Welle oder Korpuskel sich zu materialisieren vermag. In diesem Fall gelingt dem Künstler, auf die Existenz des für uns lebenswichtigen Mediums Licht mittelbar, durch eine die Arbeit verändernde chemische Reaktion, aufmerksam zu machen – ein nicht gering zu schätzender Nebeneffekt künstlerischen Denkens, das sich kunstübergreifender Vorgänge der eigenen Seins- und Schaffensbedingungen ins Bewusstsein zurückzuholen versucht.
Wenn ein Künstler auf Babylon anspielt, wie Klaus Florian dies 1991 und 1993 tat („Mein Babylon”, „Banzei Babylon”), so werden zwangsläufig bestimmte Assoziationen freigesetzt, sowohl örtlich als auch zeitlich und sogar inhaltlicher Art. Babylon – das klingt vor allem mythisch-religiös, lässt uns an das entscheidende Auseinanderdriften der einst vorhandenen sprachlichen Einheit denken. Reflektiert also der Künstler hier, in mittleren Formaten und erdigen Farben, akzentuiert mit wenigen blauen und roten Einschüben, das ewig Zurückliegende, längst Vergangene mit modernen Mitteln? Die figürlich-organisch und abstrakt zugleich zu sein scheinen?
Der Mechanismus, dem der Betrachter bei solchermaßen ambi- und polyvalenten Bildkonstrukten gern unterliegt, wenigstens auf der ersten Wahrnehmungsebene, ist angesichts der unüberschaubaren Vielfalt der Formen allzu verständlich. Es wird im anstrengenden Prozess des Erfassen- und Begreifenwollens allererst nach vermeintlich identifizierbaren „Gegenständen” gesucht, die womöglich Aufschluss geben könnten darüber, was den Künstler zu dieser und nur dieser Formenwahl veranlasst haben könnte. Subjektiv-Biographisches könnte verwoben sein mit objektiven Geschehnissen, die auf sämtliche Ausgangsüberlegungen der Kunstproduktion Einfluss genommen haben.
Diese Rezeptionsform baut auf herkömmliche, der Logik und den erklärbaren Gestaltphänomenen verhafteten Interpretationsmuster.
Es kommt aber darauf an, diese hinter sich zu lassen. „Babylon” und die anderen Serien verkörpern einen schier unerschöpflichen Fundus an Bildern, die wir in unserer gewohnten Lebens-Wirklichkeit kaum entdecken dürften, da sie aus mentalen Tiefenschichten an die Oberfläche geholt wurden. Ein Ich-bezogener Prozess mithin, der noch einmal alle Diskussionen um Originalität, Genie und l’art-pour l’art, um „das Unbekannte in der Kunst”, um Bewusstes und Unbewusstes im künstlerischen Schaffen aufwirft und Revue passieren lässt.
Florians Bildern haftet nichts Erstarrt-Statisches an; die zur Statik neigenden „Superzeichen” werden immer aufgebrochen durch Aufsplitterungen, Abspaltungen, Auswüchse unruhigerer, kleinerer Binnen- oder Außenformen. Biomorphes findet sich neben architekturalen Konstruktionen, Gerüsten, Schiffsformen, Haus- und Gefäßgestaltungen, die kontrapunktisch gar „Aktion” auf der Bildfläche suggerieren. Allerdings ist diese Gerichtetheit, die Dynamik, zeit- und ortlos, im Effekt des „Whiteout” verloren.
Die Unbestimmbarkeit des geäußerten Formenkanons weist in Richtung des „Kollektiven Unbewussten” mit seinen archetypischen Vorstellungen, wie sie 1934 C. G. Jung systematisch zu erfassen versucht hatte.
Er beschrieb es unter anderem als „eine grenzenlose Weite voll unerhörter Unbestimmtheit, (die) anscheinend kein Innen und kein Außen, kein Oben und kein Unten, kein Hier oder Dort, kein Mein und kein Dein, kein Gutes und kein Böses” zu kennen scheint. „Das kollektive Unbewusste ist alles weniger als ein abgekapseltes persönliches System, es ist weltweite und weltoffene Objektivität. Ich bin das Objekt aller Subjekte in völligster Umkehrung meines gewöhnlichen Bewusstseins, wo ich stets Subjekt bin, welches Objekte hat. Dort bin ich in der unmittelbarsten Weltverbundenheit dermaßen angeschlossen, dass ich nur allzuleicht vergesse, wer ich in Wirklichkeit bin”, heißt es dort weiter (C.G. Jung: Über die Archetypen des kollektiven Unbewussten. 1934/Von den Wurzeln des Bewusstseins, Zürich 1954, in: ders., Bewusstes und Unbewusstes, Frankfurt/M. 1957, S.31).
Die Frage nach der eigenen Existenz und worauf sie im Grunde basiert, ist gewiss kein Privileg des Künstlers. Nur vermag er sie häufig pointierter zu formulieren – und sie scheint für sein schöpferisches Tun eher als für andere ausschlaggebend zu sein. Klaus Florian sieht denn auch die eigene Existenz in ihrer ganzen potenziellen Brüchigkeit in seinen Bildfindungen gespiegelt. Beides kann er bewusst nur zu einem gewissen Grade beeinflussen, das (kollektiv) Unbewusste fließt ohne sein Zutun in seine Handlungen und damit auch in seine Kunstäußerungen ein. Unruhig versucht er dennoch, nach den Ursprüngen zu fahnden, wie der gründelnde Wels dabei alles ringsum aufwühlend….
Analog zu Marcel Prousts „Recherche” nach der verlorenen Zeit begibt sich Florian auf die Suche nach den auslösenden Momenten für seine Bildersprache. Ein momentaner Sinneseindruck („Illumination”) leitet dabei den intuitiven Erinnerungsprozess ein; es folgt die „Analyse” dessen als verstandesmäßige Bewältigung und Ausdehnung des Bewusstseinsinhaltes und schließlich, als dritte Stufe, die „Expression”, die eigentliche bildnerische Umsetzung und Bewältigung der Formen. Die erinnerte Vergangenheit fließt mit dem Gegenwärtigen zusammen und kündet von der Zeitlosigkeit der Bergson’schen durée, der (inneren) reinen Dauer als seelischer Wirklichkeit, die allein für den künstlerischen Prozess wichtig scheint. Diese „Schau nach innen” ist Teil eines Handlungsmusters, das Reaktionsmechanismen auf die zunehmend automatisierte Außenwelt zu entwickeln sucht, dieser also nicht ausweicht, sondern ihr künstlerisch begegnet.
„Intuition” als schwer fassbare Aktions-Kategorie beschreibt unverändert wirksam und modern diese Beziehung zwischen Innen und Außen: „Intuition bedeutet also zunächst Bewusstsein, aber ein unmittelbares Bewusstsein, eine direkte Schau, die sich kaum von dem gesehenen Gegenstand unterscheidet, eine Erkenntnis, die Berührung und sogar Koinzidenz ist. Es ist zudem ein erweitertes Bewusstsein, das gleichsam die Schranken des Unterbewussten vorübergehend durchbricht und in rascher Folge von Erhellung und wiederkehrendem Dunkel uns dieses Unterbewusste inne werden lässt. In Widerspruch mit der strengen Logik bestätigt sie, dass, so sehr auch das Psychische zum Bewusstsein gehören mag, es nichtsdestoweniger ein Unterbewusstsein gibt” (Henri Bergson: Denken und schöpferisches Werden, Frankfurt/M. 1985, S. 44; französisches Original erschienen 1939, deutsch 1946). Unbewusstes und Unterbewusstes als letztlich entscheidende Erkenntnisstufen führen Klaus Florian in die cella. Dort erwartet ihn nicht mehr das Götzenbild, sondern ein Spiegel, sein Ich reflektierend.

Ingo Bartsch, Dortmund

 

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e i n s i c h t > a u f

 

In den letzten Jahren ist die Öffentlichkeit in zunehmendem Maße auf das ungewöhnliche Werk des in Mülheim an der Ruhr lebenden Grafikers und Malers Klaus Florian (geb. 1954) aufmerksam geworden. Mehrere umfängliche, sich ganz unterschiedlicher Präsentationformen bedienende Ausstellungen haben den Blick in einen persönlichen Bildkosmos eröffnet, dessen elementare und gleichzeitig vieldeutige Zeichensprache ebenso fasziniert wie das bisweilen alchemistisch anmutende Malmaterial, mit dem der Künstler arbeitet. Florians Bilder konfrontieren den Betrachter mit der Fragwürdigkeit seiner im doppelten Wortsinn „oberflächlichen“ Wahrnehmung. Was ist eigentlich Fläche? Was ist und wie erleben wir Raum? Das Bild erweist sich als eine anschauliche Welt – Metapher, die uns von der vordergründigen Auf – Sicht zur hintergründigen Ein – Sicht zu führen vermag.

Florian verwendet für seine Arbeiten häufig das in der Durchsicht milchige Pergamentpapier, dessen Transparenz allein schon die dritte Dimension insofern imaginiert, als wir in einen hinter der Blattoberfläche liegenden Raum zu schauen glauben. Er zeichnet und malt u.a. mit Eisenchlorid und mit Leinöl auf beide Seiten des Blattes. Abdrucke von schwarz eingefärbeten Linolschnitten kommen als flächige Formen hinzu, so dass sich ein reizvolles Wechselspiel zwischen dem Darauf und dem Dahinter, der kompakten Form und der filigranen Linie ergibt, das vond en Zufälligkeiten des Materialverhaltens mitbestimmt wird. Die Blätter werden unterschiedlich präsentiert. Sie können durch Aufblockung die Körperhaftigkeit und Gravität einer Skulptur für sich beanspruchen oder auch durch den Verzicht jeglicher „Fassung“ eine eher immateriell anmutende Leichtigkeit annehmen. Immer aber sind sie raumhaltige Gebilde, lassen sich als transparente Bildräume mit mehreren Ebenen erfahren.
Florians Bildzeichen sind denkbar einfach. Sie lassen in ihrer Archaik an die rituellen Bildbeschwörungen der frühen Menschheit denken. Im Niemandsland zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen Gewachsenem und Gebautem angesiedelt, scheinen sie an das zu erinnern was C.G. Jung einmal das „kollektive Unbewusste“ genannt hat. Hier und da tauchen Leitern, Häuser-, Schiffs- und Gefäßformen auf, suggerieren Richtungspfeile Bewegungspotentiale. Doch werden zielgerichtete Vorgänge nicht wirklich erkennbar. Das Narrative, das ja an die Dimension der Zeit gebunden ist, bleibt so eine Option, die nicht eingelöst wird. In der Zuständlichkeit und Vielschichtigkeit der Bilder Florians spiegelt sich eine intuitive, in sich selbst ruhende Innenschau wieder. Florian ist ein philosophierender Poet. Ihm geht es darum, zum Kern der Dinge zurück zu finden, d.h. ihre innere Wahrheit, ihren stillen Zauber, ihre unergründliche Magie sichtbar zu machen. Dabei stemmt er sich entschieden gegen die inflationäre Bilderflut und all jene entbehrlichen Derviate, mit der uns die Konsum – Gesellschaft zu betäuben versucht. Geheimnis und Traum gelten ihm mehr als Gewissheit und Beweis. Sie haben für ihn eine existentielle Bedeutung. Nur für ihn?

Wolfgang Vomm, Bergisch Gladbach

 

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Unsere Kunst ist ein von der Wahrheit Geblendet-Sein: das Licht
auf dem zurückweichenden Fratzengesicht ist wahr, sonst nichts.
(Kafka, 1883-1924)

 

Klaus Florians künstlerische Arbeiten einer Gattung zuzuordnen, fällt nicht leicht, da seine Bilder auf Papier sich als Zeichnungen, als Malerei und mit seinen jüngsten künstlerischen Produktionen sogar als skulpturale Manifestationen im Raum darstellen. Er selbst sagte einmal zu seinen Intentionen: „Die zeichnerischen Ergebnisse bin ich selber. Sie zeugen die Brüchigkeit meiner Existenz auf dem Papier.“

Seit Mitte der 80er Jahre entstehen die Bilder aus einfachen Linien, schattenhaften Konturen, Figurinen, Schriftzeichen und gelegentlichen Farbspuren auf großen hellen Flächen in einer seltsam ortlosen Raumsphäre. Die freien Flächen werden zum Raum, in dem sich die Figuren, Formen und Elemente einfinden und zusammen eine schwebende Komposition bilden. Florians Bilder sind weder realistisch noch abstrakt und sind doch beides. In dieser Ambivalenz sind sie konkret. Die verschiedenen Ebenen und Schichten, aus denen die Bilder sich aufbauen, bedingen eine Form der Uneindeutigkeit und damit Offenheit, die Florians Arbeiten bestimmt. Dabei ist es ihm wichtig, im Prozess des Schaffens auch natürliche Prozesse miteinzuschließen.Der Dialog zwischen künstlerischer Arbeit und natürlichem Zusammenhang ist ein wichtiger Ansatzpunkt der Arbeit und manifestiert sich auch in der Wahl er bildnerischen Mittel. Die Farben – genauer Malmittel -, die Klaus Florian in seinen Arbeiten verwendet, besitzen aufgrund ihrer spezifischen Qualität eine eigene Körperhaftigkeit. Leinöl, Eisenchlorid und das stetige Überarbeiten von Farbflächen durch Schleifung und Spachtelung in dünnen Schichten entwickelt im Bildgrund des Papiers eine Eigenständigkeit und Präsenz, die den Bildraum zum Durchringungsraum gestaltet. Die Formen und Zeichen liegen so auch nicht auf dem Papier, sondern scheinen sich in einem Raum zu bewegen, der unbestimmt ist, offen und von unmessbarer Tiefe.

Die Räumlichkeit, die sich in Florians Arbeiten manifestiert, hat Koordinaten ganz eigner Natur, die sich nicht am Horizont unserer gewohnten Erfahrung messen lassen, sondern die sich offen definieren und in einen imaginären Raum erweitert sind, dem wir sonst nur in unserer Vorstellung begegnen können. Die Formensprache erinnert dabei manchmal an Architektonisches, an Tore, Türme und Festungen, an Objekte wie Schiffe, Boote und Kronen oder auch an figürliche Gestalten. Perspektive im klassischen Sinn findet sich in den Arbeiten nicht, da der offene Raum von ihr zu sehr bestimmt und damit eingeengt würde. Florian meidet auch jede zentral-hierarchische Komposition der Zeichen, Formen und malerischen Flächen untereinander, sondern definiert die Relation der Bildelemente untereinander einzig aus ihrem Verhältnis zum Bildraum.

Schon früh entwickelte Florian seinen spezifischen künstlerischen Stil, indem er zunächst aus einer vorgegebenen Struktur, im Sinne von „kontrollierten Zufälligkeiten”, das Werk nach und nach aufbaute. Flecken und Flächen, die sich natürlich-zufällig ergeben, werden strukturiert und in eine Form überführt, die ihre spezifischen Eigenwertigkeiten beibehält. In seiner Examensarbeit von 1982, zu Kafkas Roman ’Der Prozeß’, schreibt er: „Ich will und muss subjektiv ausdeuten und umschreiben, auch wenn ich Gefahr laufe, den Leser und Betrachter zu irritieren”. Nicht die Präsentation von Linearität und unumkehrbarer Gesetzmäßigkeit in den Abläufen der Natur spiegelt das Interesse des Künstlers, sonder viel stärker die Aspekte von Diskontinuität und unabschließbarer Formfindung.
In der Serie von großformatigen Arbeiten auf Papier, die den Titel ’Babylon’ tragen, wird der Bildträger – das Papierblatt also – in vielen Schichten vom Zeichner und Maler Florian be- und überarbeitet. Ein Palimpsest von Schichtungen, Schabungen, Ritzungen und Schleifungen, von neuerlichen Übermalungen wie Zeichensetzungen lässt das jeweilige Bild langsam entstehen. Die Fläche füllt sich im Fortgang der Gestaltung mit Formen und Zeichen. Immer wieder ist ein spannungsvoller Kontrast zwischen Leere und Füllung, zwischen hellen Flächen und verdichteten, farbigen Chiffren, zwischen artikulierten Formen und offenen Durchblicken zu beobachten. Die Arbeiten, die einen hohen Grad an malerischer Ausprägung besitzen, verlieren jedoch nie die Basis zur Zeichnung und zum imaginären Raum.
Unter gewissen Aspekten gewinnen die Farbwerte Verweis-Charakter auf Natur, Landschaft und gegenständliche Bezüge. Jedoch ist hier auf klassische Vorstellungen nur sehr mittelbar verwiesen und eine Distanz erreicht, die dem Betrachter wiederum die Möglichkeit zur offenen Auseinandersetzung bietet. Will man manche Formfindungen von Florian in Beziehung setzen zu den spontanen Äußerungen in kindlichen Zeichnungen, so sei hier auf Baudelaire verwiesen, der sagte: „(…)das Genie ist nichts als die freiwillig wiedergefundene Kindheit, die jetzt sozusagen über männliche Organe und den zergliedernden Geist verfügt, der ihm gestattet, die Masse des unfreiwillig aufgespeicherten Stoffes zu ordnen.”

Dabei ist nicht allein der Strich, im Sinne der theoretischen Diskussion über das „kindliche in der zeitgenössischen Kunst”, linkisch, sondern es entstehen durch diese Linienführungen auch besonders offene, die Bindung an Gegenständliches eröffnende aber nicht letztlich erfüllende Gestaltungen. Die Unmittelbarkeit des Gemachten steht im Kontrast zu der Distanz gebietenden Verrätselung, hinter der immer wieder Bekanntes und Vertrautes aufscheint. So ist es nur konsequent, dass die Formenwelt in den Bildern Klaus Florians sich einer rational-eindeutigen Bestimmbarkeit entzieht. Die Bilder sind mehrdeutig, vielschichtig.

Es ist zwingend, dass Florians Bilder nicht auf Vorzeichnungen basieren, da sich jedes einzelne von ihnen als Prozess im Verdichten von Inhalten und Formen darstellt. Schicht um Schicht setzt der Künstler seine Bildfindungen auf den Papiergrund und baut Geschichte über Geschichte, Gestalt über Gestalt und Raum in Raum. Wie Palimpseste wirken mache seiner Bilder, und so trägt auch eine frühere Werkgruppe diesen Titel. Palimpseste, das sind aus mehreren Schichten bestehende Wandgemälde, ursprünglich ein von neuem beschriebenes Pergament, das in immer wieder neuen Übermalungen entstanden ist und das in scheinbar gleicher Ebene mosaikartig ein Bild entstehen lässt, das über Jahre und Jahrhunderte in unterschiedlichen Perioden und Stilen entstanden ist. Ein solch natürlich gewachsenes Palimpsest trägt immer auch den Prozess eines zeitlichen Ablaufes in sich, der in Florians Arbeiten auf Papier zusätzlich eine besonders räumliche Komponente besetzt. Aus dem Prozess der Entstehung heraus wirken die Schichten fast wie ein Relief, das die Oberflächen der Bilder nahezu haptisch erfahrbar macht, wenngleich sich er Raum, der sich in ihnen öffnet, immateriell ins Unendliche erweitert.

Die Fragestellung ’Wie eindeutig ist ein Kunstwerk?’ wird zur Grundfrage angesichts der Arbeiten von Klaus Florian. Eine Grundfrage, die zwingend offen bleibt und bewusst an jeder Stelle des Bildes im dialektischen Prozess zwischen Bild und Betrachter aktuell ist. Sehakt und Malakt, die Tätigkeit des Künstlers und die Leistung des Betrachters sind sich strukturell überaus nahe. Gottfried Boehm hat auf den besonderen Stellenwert der Kategorie der ’Erinnerung’ in den bildnerischen Konzepten der Moderne hingewiesen. „Die Zeitform dieser Bilder resultiert aus dem Strömen der Zeichen, in der Unbestimmtheit des weißen Bildraumes. Es ist der sedimentierende Vorgang des Erinnerns selbst, an dem wir teilnehmen.” Fast alle technischen Mittel, die Florian in seinen Arbeiten verwendet, schaffen Raum ohne Illusion. Die Schichten stehen zueinander im Widerspruch von Verdecken und Enthüllen von Hinweisen und Entziehen. In dieser Art von Überlagerung, in der die verschiedenen Ebenen nicht unterscheidbar sind, sondern opak verschmelzen, spielt sich das Versinken, das Vergessen und das Erinnern ab. Die Tiefe der Schichtung ist Florians Analog für Subjektivität.
Die Eisenchlorid-Bilder stellen eine besondere Gruppe der großformatigen Arbeiten. Florian hat diese Werkgruppe mit Leinöl und Eisenchlorid gemalt. Diese Malmittel setzen eigene Bedingungen – auch Josef Beuys hat in seinen Zeichnungen unter anderen Materialien bisweilen Eisenchlorid verwendet. Zunächst erscheint eine stark verdünnte Flüssigkeit wie über das Zeichenpapier geflossen zu sein und sich dort in größeren und kleineren Flächen, Flecken und Verdichtungen ausgebreitet und konzentriert zu haben. Die Verlaufsformen der Farbe haben durch den Duktus der Pinselstriche und der Zeichenstifte Form und Struktur bekommen. Dem Material eignet die besondere Charakteristik an, dass sich Transparenzen, Durchdringungen, Verdichtungen und Mattigkeiten gleichzeitig nebeneinander entwickeln. Mal dringt es in das Papier ein und öffnet es, mal patiniert es die Oberfläche und verschließt sie durch chemische Prozesse mit einer ganz besonderen Haut. Dadurch gewinnen diese Bilder in Papier gleichzeitig haptische und transparente Eigenschaften. Diese Eisenchlorid-Linien umgrenzen große Leinölflächen, die das Papier tränken und wie wächsern wirken. Die räumliche Dimension dieser Arbeiten ist groß und steht im bewussten Kontrast zu den sehr sparsam gesetzten Elementen. Die Schichtungen, die in den vorherigen Arbeiten noch aus dem Prozess der Überarbeitungen entstanden, sind hier in einer Ebene konzentriert und durch die verschiedene Materialität von Leinöl-Eisenchlorid und Papier artikuliert. Der graduelle Unterschied zwischen Farbe und Papier ist nicht de facto vorhanden, sondern immateriell. Die zeichnerischen Formen und die malerische Gestaltung auf der Bildfläche sicher zu lokalisieren, das hat Klaus Florian unmöglich gemacht, denn das Bild entsteht scheinbar aus der Unendlichkeit des Raumes und findet nur kurzzeitig seinen Ort im Papier. In diesen Arbeiten ist auch die Erinnerung an Außerbildliches weniger deutlich als in den Arbeiten der Serie Babylon. Die Formen, Lineaturen und Konturen entwickeln sich frei aus der spezifischen Eigenschaft der Farbe. Die Komposition ist reduziert und steht im Kontrast zu den unbehandelten weißen Flächen des Papiers. In der Installation ’Berlin-Block’ zerlegt Klaus Florian die Formensprache, die er in den Serien von Babylon formuliert hat, in einzelne Elemente. Aus 22 kleinen dreidimensionalen geschlossenen Kästen setzt er den Bildraum zusammen. Die Raumblöcke, auf denen die Zeichen und Formen gesetzt sind, sind zu einem großen Block gefasst, dessen Elemente wie in einem Reihen-Rhythmus hintereinander und nebeneinander zur Anschauung kommen. So als ob der Raum sich dreht, gekippt wird und um eine imaginäre Achse der Betrachtung gespiegelt wird, werden die einzelnen Raumkörper versetzt und bilden so immer wieder neue Kontexte von Formen untereinander, die auch im Abschreiten der Installation wahrgenommen werden.

Aus dem ’Berlin-Block’ und den Arbeiten mit Leinöl und Eisenchlorid ist jene Installation entstanden, die den Titel Albedo’ trägt. Albedo – so gibt das Lexikon Auskunft – ist die Verhältnisgröße für das sogenannte Remissionsvermögen, das heißt das Rückstrahlvermögen von Körpern. Albedo ist die von einem Flächenelement, das von einem senkrechten Lichtstrom bestrahlt wird, reflektierte Lichtmenge. In der Astrophysik ist Albedo damit die Maßeinheit, um die Strahlungsintensität nicht selbststrahlender Himmelskörper – wie zum Beispiel der Erde oder des Mondes – wiederzugeben.
’Albedo’ besteht aus 14 Arbeiten, die wie beim ’Berliner Block’ auf dreidimensionale Raumkörper gesetzt sind. Die Verknüpfung von Eisenchlorid und Leinöl in diesen Arbeiten und die Erweiterung der Gestaltung in ein variables Raumkontinuum gibt diesen Arbeiten auf Papier eine Immaterialität und Transparenz, die der Erscheinung von Licht nahe kommt. Die Anordnung der einzelnen Teilelemente von Albedo ist dabei nicht allein bestimmt durch bildkünstlerische Ansätze, sondern bezieht einen weiteren Aspekt der Auseinandersetzung mit ein. Diese Installation wird im Kontext ihrer Präsentation bespielt. Der Musiker, Hans-Jörg Rüdiger, der im Vorfeld zusammen mit Florian die Thematik entwickelte, gab dabei für die Gestaltung der einzelnen Bildelemente eine Art von Sinuskurve vor und hat selbst im Anschluss die 14 entstandenen Einzelelemente in eine syntaktische Reihenfolge und Anordnung gebracht, die ’Albedo’ somit gleichsam zu einer musikalischen Komposition verknüpft. Raum und Raumgefügte werden so zu einer Klangordnung, die gleich der gestalterischen Qualität Offenheit in der Umsetzung ermöglicht.

Zu den wichtigsten systematischen Fragen, die sich in der Kunstwissenschaft stellen, gehört die Frage nach dem Verhältnis zwischen Totalität und Fragment. Im ’Berlin-Block’ sowie bei ’Albedo’ zeigt sich nicht Natur an sich, ebenso wenig wie eine bestimmte Geschichte, sondern an den Elementen und Einzelfragmenten der Installation werden die Spuren von Leben, von Erfahrung und von Empfindung deutlich. In der künstlerischen Arbeit von Klaus Florian geht es nicht um das Endgültige, sondern um Offenheit und Raum, wodurch das Unfertige zugleich Ausgangspunkt und Anlass neuer Auseinandersetzung und Gestaltung ist.

Dr. Gabriele Uelsberg
Direktorin
LVR-Landesmuseum Bonn

 

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